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Riff: Der Glitch im Raum

von Julia Shimura

Meine Oma hatte eine Tapete in der Küche, ein bläuliches Blumenmuster, das irgendwie zu ihrem Überrock passte. Den hatte sie immer an, wenn sie mir Zuckerl anbot. Davon hortete sie Tonnen in ihrer Speisekammer und öffnete vergnügt all die Schachteln, die ihr selbst wegen ihrer Diabetes versagt blieb. Ihr vergnügtes Gesicht, der Überrock, die Tapete.

Muster versus Muster: Das Quadrat von Mareike Maage ist gefüllt mit allen möglichen Tupfern, Kreisen, krumme Kurven oder Konkaven. Es ist keine Einzahl, sondern es lebt in einer Mehrzahl, gemeinsam, im Verbund. Sie existieren im Gegensatz zur Wand, heben sich aus ihrem Untergrund hervor. Diese minimale Differenz ist Zeugnis der Möglichkeit von Kunst und seiner Kraft, das Gewöhnliche zum eigentlich Außergewöhnlichen zu erklären.

Wer an ein Quadrat in der Kunst denkt, denkt vielleicht zuerst an Kasimir Malewitsch. Als Erfinder der Moderne gefeiert, beschwor Malewitsch das Quadrat als einen Befreiungsschlag vom “Ballast des Gegenständlichen”. Er hielt es durch seine Unterbestimmtheit für die Wiege aller Möglichkeiten. Als ein Ding gewordener Vorstellungsraum. Er hängte es provokant oben übereck, wie damals russisch-orthodoxe Ikonen aufgehängt wurden, aber im Gegensatz zu den prunkvoll gestalteten Ikonen war diesmal alles schwarz, übermalt, unerkennbar und - frei. Beziehungsweise frei bestimmbar. Erst seit ein paar Jahren weiß man, dass unter dem schwarzen Quadrat nicht nur ein, sondern zwei übermalte Bilder stecken.

Tapete als Zitat

Die Quadrate von Mareike Maage zeigen jene Muster, die im Zeitgeist der Warenästhetik heute keinen mehr aus der Reserve locken. Erst durch ihre Wahl und Platzierung, durch, wie der Titel andeutet, ein kurzes prägnantes Motiv, ähnlich dem Gitarrenriff -, bekommen sie ihre Bedeutung.

Maage weist selbst auf die Kombinationsmöglichkeiten hin: “Entweder das im Raum Vorhandene hervorheben oder etwas hinzufügen. Ich kann mir ein Tapetenquadrat auf der nackten Wand vorstellen. Oder eine Blümchentapetenwand mit mehreren Quadraten, die man erst nach und nach entdeckt. Oder Backsteintapete auf Backsteintapete, Raufaser auf Raufaser.”

Das Quadrat – in seinen vielen Formen – will betören und schlägt vor, die Geschichte des Raumes zu reflektieren, zu verstärken und mit ihr zu spielen. Näher dran an den eigentlich übermalten Bildern unter dem Schwarzen Quadrat Malewitsch’s, lese ich die Serie riff als Artefakt, das mich zum Erinnern einlädt.

Falten beim Zwischenspeichern

Wenn ich nämlich anfange in dieser Erinnerung zu spulen, die Tapeten meiner Oma oder die Tapeten aus mir bekannten Räumen hervorrufen, bilden sich Geschichten und setzen sich neu zusammen. Das Blümchenmuster meiner Oma erzählt von ihren roten Wangen. Bei Quadraten mit Lavalampen-Muster denke ich an «Uhrwerk Orange«. Es ist so, als würde ich sie zwischenspeichern, sie überlappen sich und es entstehen neue Falten. Durch diese Falten steige ich ein in die Geschichte, die jedes Objekt der Serie riff mir erzählt. Das Ganze kommt mir vor, wie ein zum Gegenstand gewordener, abstrakter Glitch, ein elektronischer Fehler im analogen Raum, auf dem ich durch meine Geschichte und die unserer Elterngenerationen surfe.

Tapete als zentrale Betrachtungskategorie ist total marginal. Aber genau der unauffällige Betrachtungswinkel, das Quadrat als Bühne und Zeitmaschine, der uns verführt, in andere Welten zu tauchen, ist so charmant.